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Politische Führer erkennen häufig nicht den praktischen Nutzen von Phantasie und innovativen Ideen, bis sie ihnen von blutigen Händen unter die Nase gehalten werden.
Kronprinz Raphael Corrino,
Diskurse über die Regierung
Auf der Heighliner-Baustelle in den tiefen Höhlen von Ix ließen die treibenden Leuchtgloben grelle Spiegelungen und düstere Schatten über das Gerüst wandern. Das Licht schimmerte im ätzenden Rauch von verbrannten Lötmitteln und verschweißten Metallen. Vorarbeiter riefen Kommandos, und schwere Bauteile schlugen dröhnend aneinander, sodass das Echo von den Felswänden zurückgeworfen wurde.
Die geknechteten Sklaven arbeiteten so wenig wie möglich und vereitelten die Zeitpläne und Profiterwartungen der Tleilaxu. Obwohl die Bauarbeiten für den Heighliner älteren Modells schon vor Monaten begonnen hatten, war er noch nicht über das Stadium eines groben Skeletts hinausgekommen.
Unter falscher Identität hatte sich C'tair in die Arbeitermannschaften eingeschleust. Er schweißte Träger und Sparren zusammen, die den gewaltigen Frachtraum umschlossen. Heute musste er sich in der offenen Höhle aufhalten, wo er einen freien Blick auf den künstlichen Himmel hatte.
Damit er beobachten konnte, wie die nächste Phase seines verzweifelten Plans verlief ...
Nach den größeren Verwüstungen, die Miral und er vor zwei Jahren angerichtet hatten, waren die Herren noch despotischer geworden, doch die Ixianer hatten inzwischen eine Immunität gegen weiteres Leid entwickelt. Das Beispiel der zwei Widerstandskämpfer hatte dem Volk tatsächlich neue Kraft gegeben. Jetzt hielten die Menschen erst recht durch. Weitere ›Rebellen‹, die allein oder in kleinen Gruppen agierten, bildeten mittlerweile eine beachtenswerte Armee, deren Schlagkraft und Entschlossenheit durch keine noch so große Unterdrückung vermindert werden konnte.
Obwohl er keine Informationen über die Lage auf Ix hatte, schickte Prinz Rhombur weiteren Sprengstoff und anderes Material, doch erst eine kleine Lieferung hatte den Weg zu C'tair und Miral gefunden. Die Herren öffneten und inspizierten jeden Container. Die Arbeiter an der Raumhafenschlucht und die Piloten der Schiffe waren ausgewechselt worden, sodass C'tair nun keine Kontaktleute mehr hatte und wieder völlig isoliert war.
Dennoch fassten Miral und er jedes Mal neuen Mut, wenn sie zerbrochene Fensterscheiben und sabotierte technische Einrichtungen sahen und die ohnehin reduzierte Produktivität weiter eingeschränkt wurde. Erst vor einer Woche war ein Mann, der keinerlei Beziehung zur Politik hatte, der nie zuvor auffällig geworden war, erwischt worden, als er in einem stark frequentierten Korridor mit riesigen Buchstaben an die Wand geschrieben hatte: TOD DEN TLEILAXU-SCHWÜRMERN!
C'tair balancierte über eine Querstrebe, um zu einer schwebenden Plattform zu gelangen, von der er sich ein Laserschweißgerät holte. Mit einem Lift fuhr er zum höchsten Teil des Heighliner-Gerüsts hinauf und blickte in die kilometerlange Grotte hinunter. Die Überwachungskapseln wichen den Metallträgern aus und beobachteten die Arbeitergruppen. Die anderen Mitglieder von C'tairs Kolonne widmeten sich ihren Aufgaben. Keiner von ihnen ahnte, was geschehen würde. Ein Schweißer im Schutzanzug kam C'tair näher, und mit einem schnellen Seitenblick stellte er fest, dass sich Miral unter der Verkleidung verbarg. Sie würden diesen Moment gemeinsam erleben.
Gleich musste es soweit sein.
Die Holoprojektoren im künstlichen Himmel flackerten. Die Wolken der Tleilaxu-Heimatwelt zogen über die lichtfunkelnden, nach unten hängenden Wolkenkratzer-Inseln. Früher einmal hatten diese Gebäude wie Stalaktiten aus Kristall ausgesehen, jetzt waren die einstmals märchenhaften Bauten nur noch alte, kariöse Zahnstümpfe, die im Fels der ixianischen Planetenkruste steckten.
Während Miral in seiner Nähe arbeitete, setzte sich C'tair auf die Strebe und lauschte auf den hämmernden Baulärm, der einen blechernen Hall erzeugte. Er blickte wie ein alter Wolf zum Mond auf. Und wartete.
Dann verzerrte sich die Illusion des Himmel und änderte die Farbe, als würden sich die fremden Wolken zu einem Sturm sammeln. Wieder flackerten die Holoprojektoren, dann erzeugten sie ein völlig anderes Bild, das vom fernen Caladan stammte. Die Nahaufnahme eines Gesichts erfüllte den Himmel wie die Erscheinung eines göttlichen Wesens.
Rhombur hatte sich während der achtzehn Jahre seines Exils sehr verändert. Er wirkte reifer und fürstlicher. In seinem Blick und seiner tiefen Stimme lagen Energie und Entschlossenheit.
»Ich bin Prinz Rhombur Vernius«, sprach die Projektion mit der Lautstärke eines Donnerschlags. Alle Menschen blickten in ehrfürchtiger Verblüffung nach oben. Sein Mund war so groß wie eine Fregatte der Gilde, seine Lippen formulierten Worte, die wie himmlische Gebote durch die Höhle hallten. »Ich bin der rechtmäßige Herrscher von Ix, und ich werde zurückkehren, um euch von eurem Leid zu erlösen.«
Alle Ixianer stießen überraschte und begeisterte Schreie aus. Von ihrem Hochsitz beobachteten C'tair und Miral, wie die Sardaukar verwirrt umherliefen, während Kommandant Garon seine Truppen anbrüllte, die Ordnung wiederherzustellen. Hoch oben erschienen Tleilaxu-Meister auf Balkonen und gestikulierten. Wachen liefen in die Verwaltungsgebäude zurück.
C'tair und Miral genossen diesen Augenblick und wagten es, sich mit einem breiten Lächeln anzusehen.
»Wir haben's geschafft«, sagte sie. Im Chaos war er der Einzige, der ihre Worte verstehen konnte.
Die beiden hatten Wochen benötigt, um die Systeme zu studieren und festzustellen, wie sich die Projektorkontrollen manipulieren ließen. Niemand hatte daran gedacht, Vorkehrungen gegen eine derartige Sabotage zu treffen, gegen einen so dreisten Missbrauch einer alltäglichen Einrichtung.
Rhombur Vernius hatte diese Botschaft in der einzigen Lieferung, die durchgekommen war, nach Ix geschmuggelt, in der Hoffnung, sie könnte heimlich loyalen Ixianern bekannt gemacht werden. Alternativ hatte der Prinz sprechende Poster oder kurze Einspeisungen im regulären Kommunikationssystem der Untergrundstadt in Erwägung gezogen.
Doch das findige Guerilla-Duo hatte beschlossen, diese Gelegenheit zu einer Aktion zu nutzen, die viel länger im Gedächtnis blieb. Es war Mirals Idee gewesen, und C'tair hatte viele Einzelheiten des Plans beigesteuert.
Rhomburs Gesicht war breit und kantig, seine Augen funkelten mit einer Leidenschaft, um die ihn jeder andere verbannte Herrscher beneiden musste. Sein blondes Haar war in leichter Unordnung, was einen gleichzeitig noblen und verwegenen Eindruck machte. Der Prinz hatte während seines Aufenthalts im Haus von Herzog Atreides sehr viel über Staatskunst gelernt.
»Ihr müsst euch erheben und diese üblen Sklaventreiber stürzen. Die Usurpatoren haben kein Recht, euch Befehle zu erteilen oder euer tägliches Leben zu bestimmen. Ihr müsst mir helfen, Ix in seiner früheren Pracht wiederauferstehen zu lassen. Merzt die Seuche namens Bene Tleilax aus. Tut euch zusammen und setzt jedes verfügbare Mittel ein ...«
Seine Worte wurden plötzlich abgeschnitten, als offenbar jemand im Verwaltungskomplex versuchte, die Übertragung zu unterbrechen. Doch die Stimme des Prinzen drang hartnäckig immer wieder durch das Rauschen und Knistern. »... zurückkehren werde. Ich warte nur auf den geeigneten Zeitpunkt. Ihr seid nicht allein. Meine Mutter wurde ermordet. Mein Vater musste sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Aber meine Schwester und ich sind noch da, und wir beobachten Ix. Ich beabsichtige ...«
Rhomburs Bild wurde verzerrt und verschwand schließlich ganz. Über die Untergrundstadt senkte sich eine Finsternis, die dunkler als die tiefste Nacht war. Die Tleilaxu schalteten lieber die gesamte Himmelsprojektion ab, als Prinz Rhombur die Gelegenheit zu geben, den Rest seiner Rede zu halten.
C'tair und Miral jedoch lächelten in der Dunkelheit. Rhombur hatte genug gesagt. Auf diese Weise mussten sich seine Zuhörer stärker zum Aufstand angestachelt fühlen als durch irgendetwas, das der Exil-Prinz noch hätte hinzufügen können.
Nach wenigen Sekunden erstrahlten grellweiße Leuchtgloben, die Notbeleuchtung, die die Höhle in kaltes Licht tauchte. Sirenen ertönten, aber die geknechteten Ixianer hatten sich bereits überall zu Gruppen zusammengefunden, in denen aufgeregt diskutiert wurde. Jetzt schrieben sie die Explosionen der weitreichenden Macht des Prinzen Rhombur zu. Sie hatten die ständigen Sabotageaktionen miterlebt, und diese Ansprache war ein noch viel größeres Zeichen. Sie glaubten an das, was er gesagt hatte. Vielleicht befand sich Prinz Rhombur sogar in Verkleidung mitten unter ihnen! Das Haus Vernius würde zurückkehren und die verhassten Tleilaxu vertreiben. Rhombur würde dafür sorgen, dass wieder Glück und Wohlstand auf Ix Einzug hielten.
Sogar die Suboiden jubelten. C'tair erinnerte sich an die bittere Ironie, dass diese geistlosen, biotechnisch gezüchteten Arbeiter für die Vertreibung des Grafen Vernius mitverantwortlich gewesen waren. Ihr unkluger Aufstand und ihre Leichtgläubigkeit gegenüber den Versprechungen der Tleilaxu hatten den Umsturz überhaupt erst ermöglicht.
Doch C'tair wollte nicht nachtragend sein. Er würde jeden Verbündeten willkommen heißen, der zum Kampf bereit war.
Sardaukar-Truppen schwärmten aus und schwenkten demonstrativ die Waffen. Sie befahlen den Menschen, in ihre Unterkünfte zurückzukehren. Dröhnende Lautsprecher kündigten die sofortige Verhängung des Kriegsrechts und hartes Durchgreifen an. Die Rationen sollten auf die Hälfte gekürzt und das Arbeitspensum erhöht werden. Solche Maßnahmen hatten die Tleilaxu schon viele Male ergriffen.
C'tair folgte Miral und den vielen anderen, die vom Heighliner-Gerüst zum sicheren Höhlenboden hinunterkletterten. Je mehr Druck die Eroberer ausübten, desto größer würde der Zorn der Ixianer werden, bis er sich schließlich in einer Explosion entlud.
Cando Garon, der Anführer der imperialen Truppen auf Ix, rief Befehle in Kriegssprache durch einen Stimmprojektor. Die Sarkaudar schossen in die Luft, um die Arbeiter einzuschüchtern. C'tair folgte seiner Kolonne, die sich gehorsam in einen abgesperrten Bereich treiben ließ. Man würde wahllos einige von ihnen festhalten und befragen – aber niemand konnte ihm oder Miral das Geringste nachweisen. Selbst wenn sie beide hingerichtet wurden, hätte es sich gelohnt, weil sie Großes bewirkt hatten.
C'tair und Miral, die weit voneinander entfernt in der Menge standen, machten alles mit, was von ihnen verlangt wurde, was die wütenden Sardaukar-Wachen ihnen befahlen. Als C'tair hörte, wie die Arbeiter miteinander flüsterten und die Worte des Prinzen Rhombur Vernius wiederholten, erreichte seine Freude und Hoffnung ungeahnte Höhen.
Eines Tages ... in nicht allzu ferner Zukunft ... würde Ix wieder den Ixianern gehören.